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Kriegschaos in Libyen Nato fürchtet Anschläge mit verschwundenen Raketen

Nato-Experten sorgen sich um den Verbleib von bis zu 10.000 Boden-Luft-Raketen aus libyschen Armeebeständen. Die Allianz fürchtet, die Waffen könnten in die Hände von Terroristen gelangen. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE warnt das Bündnis vor einer ernsten Gefahr für die zivile Luftfahrt.
Plünderung eines Waffenlagers in Adschdabija (März 2011): Wo sind die Raketen?

Plünderung eines Waffenlagers in Adschdabija (März 2011): Wo sind die Raketen?

Foto: GORAN TOMASEVIC/ REUTERS

Brüssel/Berlin - Die Militärallianz Nato ist wegen Tausender in Libyen aus Armeebeständen geplünderter Boden-Luft-Raketen hochgradig alarmiert. Bei einer vertraulichen Unterrichtung für deutsche Bundestagsabgeordnete am vergangenen Montag in Brüssel warnte Admiral Giampaolo di Paola, Vorsitzender des Militärausschusses des Bündnisses, eindringlich vor möglichen Terror-Anschlägen auf die zivile Luftfahrt mit den verschwundenen Raketen. Der Admiral gestand nach Informationen von SPIEGEL ONLINE ein, dass die Allianz trotz Luftüberwachung und Geheimdienstinformationen der Bündnisnationen von mindestens 10.000 solcher Raketen aus den Lagern der Armee jede Spur verloren hat.

Der Admiral wurde bei dem Briefing in Brüssel sehr deutlich. Konkret befürchtet die Nato laut seinen Aussagen, dass die Raketen nun in andere Länder geschmuggelt würden und dort in die Hand von Terrorgruppen wie al-Qaida geraten könnten. Dies könne sowohl afrikanische als auch Nationen im arabischen Raum weitab von Libyen betreffen, so der Admiral. Die Raketen könnten quasi überall auftauchen, "sowohl in Kenia als auch in Kunduz", warnte di Paola vor den Abgeordneten. Von den Waffen, die recht leicht von der Schulter oder auf den Boden gestellt abgefeuert werden können, gehe deswegen eine "ernsthafte Gefahr für den zivilen Luftverkehr aus".

Die meisten der im Militärjargon SAM genannten Raketen - die Abkürzung steht für "surface to air missile" - sind nach dem Fall von Tripolis Ende August geplündert worden. Damals öffneten die Rebellen viele Waffenlager des Regimes, prall gefüllt mit Raketen. Die Experten der Nato sorgen sich, dass die Rebellen im Chaos des Kriegs keinerlei Kontrolle darüber hatten, wer die Raketen mitnahm und wo diese letztlich geblieben sind. Nato-Admiral di Paola sagte bei dem Briefing in Brüssel, zwar hätten US-Spezialeinheiten das Öffnen von einigen Waffenlagern beobachtet und auch kontrolliert - die Elitesoldaten allerdings hätten sich auf Armeebasen konzentriert, in denen Chemiewaffen wie Senfgas lagerten.

Hitzesensoren leiten Raketen direkt in die Turbinen

Unabhängig von di Paolas Einschätzung bestätigten die Rebellen am Wochenende, dass ein Großteil der Boden-Luft-Raketen verschwunden ist. Unter Gaddafi habe Libyen rund 20.000 Raketen des Typs SA-7 aus sowjetischer oder bulgarischer Produktion gekauft, sagte der Rüstungsbeauftragte des Nationalen Übergangsrates, Mohamed Adia, am Samstag. Von mindestens 5000 der SAMs aber fehle bisher jede Spur. Adia schloss auf Nachfrage nicht aus, dass die Raketen im Chaos der Revolution oder auch jetzt noch in falsche Hände gelangen könnten. Trotz der Einnahme großer Teile von Libyen könne wohl niemand aus dem Übergangsrat behaupten, die Rebellen seien in der Lage, den Verbleib der Waffen nachzuvollziehen.

Der schlimmste denkbare Fall, ein Angriff auf ein ziviles Flugzeug, ist für Terrorexperten ein durchaus plausibles Szenario. Bereits im November 2002 feuerten mutmaßliche Anhänger der Terrorgruppe al-Qaida eine SA-7-Rakete auf ein mit Touristen voll besetztes israelisches Verkehrsflugzeug im kenianischen Mombasa ab. Nur durch Zufall verfehlte die Rakete ihr Ziel.

Die meisten der Boden-Luft-Raketen sind mit Hitzesensoren ausgestattet, die sie direkt in die Turbinen von Flugzeugen leiten. Beim Start und beim Landeanflug sind zivile Flugzeuge gegen solche Angriffe nicht geschützt und würden im Fall eines Treffers sofort abstürzen.

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